Jesus geht übers Wasser: Historischer Fakt oder eher eine Metapher?

⏳ Lesezeit: 4 Minuten / 📆 zuletzt aktualisiert: 22.10.2023

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📆 zuletzt aktualisiert: 22.10.2023

In der Bibel wird über viele Wunder berichtet, die Jesus vollbracht haben soll. Viele diese Geschichten, die wir da lesen können, klingen so fantastisch, als wenn sie so gar nicht hätten passiert sein können. Dazu gehört auch die Überlieferung, dass Jesus über das Wasser gegangen sein soll. Ich möchte im Folgenden die Frage aufgreifen, ob das ein historischer Fakt oder eher eine Metapher ist.

Die Diskussion unter Theologen und Historikern 

Die Geschichte von Jesus, in der er über das Wasser geht, wird uns im Neuen Testament erzählt. Wir finden hierzu Textstellen in:

  • Matthäus (14, 22-33)
  • Markus (6,45-52)
  • Johannes (6,16-21)

Die Geschichte spielt am See Genezareth, wo Jesus seine Jünger verlässt und auf dem Wasser zu ihnen geht. 

Im Evangelium des Matthäus heißt es: „Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren. … Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not … Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie … und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: ´Seid getrost, ich bin´s, fürchtet euch nicht.´“ 

Die theologische Sichtweise

In der Diskussion wird die theologische Sicht so ausgelegt, dass es sich hierbei um ein Wunder gehandelt hat, das die göttliche Macht zeigt, die Jesus innewohnte. Die Argumentation geht in die Richtung, dass der Sohn Gottes in der Lage war, über die Naturgesetze zu herrschen und somit über das Wasser gehen konnte. Die theologische Sichtweise vertritt die Meinung, dass sich dieses historische Ereignis tatsächlich so zugetragen haben muss. 

Die Sichtweise der Historiker

Historiker sind, wie allgemein bekannt ist, nicht in der Lage, an Wunder zu glauben. Sie müssen Geschichten dieser Art kritisch betrachten und im Kontext der damaligen Zeit analysieren. Sie kommen in ihren Überlegungen zu dem Schluss, dass die Geschichte, dass Jesus über das Wasser gehen könnte, eher metaphorisch gemeint sei. 

Dies begründen sie damit, dass sie darauf verweisen, dass die Evangelien, die auf diese Geschichte verweisen, nicht einen rein historischen Hintergrund haben, sondern vor allem auch theologische Botschaften vermitteln sollen. 

Eine der Interpretationen, die von den Historikern für diese Geschichte für möglich gehalten wird, ist, dass dadurch die Macht und Autorität, die Jesus verkörperte, symbolisiert wird. Gerade in der jüdischen Tradition werden das Meer bzw. ein See des Öfteren mit Chaos und Gefahr assoziiert wird. 

Die Fähigkeit Jesu, über das Wasser gehen zu können, ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, auch bei Unsicherheiten oder in schwierigen Situationen die Kontrolle zu haben. Insofern kann die Metapher so ausgelegt werden, dass Jesus seinen Jüngern Mut machen wollte. 

Warum wird in der jüdischen Tradition das Meer mit Chaos und Gefahr assoziiert? 

In der Schöpfungsgeschichte, die wir im Alten Testament im Buch Genesis nachlesen können, wird das Meer als eine ursprüngliche Form des Chaos dargestellt. Gott formte das Universum aus dem chaotischen Urzustand und schaffte Ordnung. 

In der Schöpfungsgeschichte heißt es, dass die Erde „wüst und leer“ war und „Finsternis über der Tiefe lag“. Wenn man die hebräische Bezeichnung für „Tiefe“ sucht, kommt man auf „Tehom“, was wiederum auf ein tiefes Meer hinweist. Und dieses Meer symbolisiert das chaotische Element vor der Schöpfung. 

Geschichten und Mythen, in denen das Meer als gefährlich und bedrohlich dargestellt wird, gibt es in der jüdischen Tradition mehrere. Eine der bekanntesten Geschichten ist sicherlich die vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Hierbei wurde das Rote Meer durchquert, das zunächst als Hindernis den Israeliten den Weg versperrte, sich aber später auf wundersame Weise teilte und einen sicheren Durchgang ermöglichte. 

Aber auch andere Kulturen assoziieren das Meer oft mit Chaos und Gefahr. Stürme, Wellen und Naturgewalten gehen aus dem Meer hervor. Die für sich schon bedrohliche Vorstellung wird in der jüdischen Tradition noch zusätzlich mit dem theologischen Konzept des chaotischen Urzustands in Verbindung gebracht. 

Ein anderer wissenschaftlicher Ansatz

Der amerikanische Ozeanologe Doron Nof hat im Rahmen seiner Arbeit für die Universität Miami eine Studie veröffentlich, in der er die Ansicht vertritt, dass Jesus nicht auf dem Wasser, sondern auf Eis gegangen sei. 

Dies begründet er damit, dass in dem Zeitraum von 600 vor Christus und 500 nach Christus im heutigen Nordisrael, in dem der See Genezareth liegt, ein raues Klima geherrscht hat, das es sogar ermöglichte, dass der See zufrieren konnte und die Eisdecke so dick gewesen sein könnten, dass sie einen Menschen zu tragen in der Lage war. Aus einer gewissen Entfernung hätte es so für seine Jünger den Anschein haben können, Jesus sei über das Wasser gelaufen. 

Metapher oder historischer Fakt? 

Viele der Geschichten, die in der Bibel wiedergegeben werden, basieren auf Glauben, bzw. auf Überlieferungen, für die es nur begrenzte historische Beweise gibt. Daher werden Fragen wie diese meist unterschiedlich interpretiert und haben ein offenes Ergebnis. Viel hängt daran, ob man die Evangelien nun als historische Beweise oder dann doch nur als theologische Erzählungen ansieht. 

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