Jesus heilt einen Blinden: Ein echtes Wunder oder öffnete er ihm im übertragenen Sinne die Augen?

⏳ Lesezeit: 7 Minuten / 📆 zuletzt aktualisiert: 20.11.2023

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📆 zuletzt aktualisiert: 20.11.2023

In der Bibel habe ich von einigen Wundern gelesen, die Jesus vollbracht haben soll. Dabei stellt sich aber immer die Frage, ob es sich dabei nun wirklich um Wunder handelte, oder ob es bei diesen Geschichten dann doch eher um eine metaphorische Sichtweise geht. Ist die Geschichte, dass Jesus einen Blinden wieder sehend machte, also nun ein Wunder oder öffnete er ihm im übertragenen Sinne die Augen? Dieser Frage will ich nachfolgend einmal nachgehen.

Markus 8,22-26: Die Geschichte von Jesus, der einem blinden Mann seine Augen öffnete

Diese Geschichte möchte ich jetzt etwas näher betrachten. Mit einer religiösen Sichtweise werden Geschichten wie diese von vielen Christen als tatsächliche Ereignisse betrachtet. Sie sind der Überzeugung, dass Jesus mit einer göttlichen Macht versehen war und diese Wunder deswegen vollbrachte, um ein Zeichen seiner göttlichen Natur und seines Mitgefühls zu setzen. 

Worauf basiert diese Sichtweise? 

Die Menschen, die von diesen Wundern als tatsächliche Ereignisse überzeugt sind, glauben daran aus dem Verständnis heraus, dass Jesus Gottes Sohn ist und mit göttlicher Autorität handelt. Die Berichte in der Bibel betonen, dass die Menschen, die Jesus geheilt hat, wohl tatsächlich körperliche Leiden hatten, sei es Blindheit, Taubheit oder eine Lähmung. Nach einer Berührung durch den Sohn Gottes wurden sie sofort geheilt. 

Eine andere Sichtweise 

Es gibt aber verschiedene Interpretationen zu den Wundergeschichten. Vielen sehen darin eher symbolische Darstellungen einer Botschaft, die Jesus uns überbringen wollte. Er „erleuchtete“ die Menschen und zeigte ihnen neue Perspektiven auf. Aus dieser Ansicht heraus könnte man das Heilen eines Blinden als Metapher für das Öffnen der Augen im Sinne spirituellen Bewusstseins betrachten. 

Zudem betont eine Deutung in diese Richtung, dass Jesus den Menschen half, ihre Sichtweise zu ändern, ihre Herzen zu öffnen und ein tieferes Verständnis von sich selbst, anderen und Gott zu entwickeln. 

Der Versuch einer Widerlegung, dass es sich um ein Wunder handelte

Eine besondere Sichtweise auf diese Geschichte eines Wunders vertritt zum Beispiel Prof. Dr. Wilfried Härle bei seiner Predigt über Markus 8,22-26 im Rahmen des Universitätsgottesdienstes am 26. August 2007 in der Peterskirche Heidelberg. 

Er beginnt seine Predigt, indem er Goethes Faust zitiert: „Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.“ Geschrieben habe Goethe diese Worte vor mehr als 200 Jahren und zu dieser Zeit mögen sie auch noch gegolten haben. Es war aber bereits das Ende der Aufklärungszeit und Wunder hielten viele Menschen schon damals für fragwürdig und problematisch. 

Bis zum heutigen Tag hat sich die Sichtweise auf Wunder so entwickelt, dass viele damit eher Schwierigkeiten haben, – auch mit denen aus dem Neuen Testament, und somit auch mit unserer Geschichte vom geheilten Blinden. 

Die Geschichte von Jesus, der einen Blinden heilt

In Markus 8,22-26 ist zu lesen: „Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und der nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf!“

Prof. Dr. Wilfried Härle zeigt drei Besonderheiten bzw. Merkwürdigkeiten auf, die Anlass zum Nachdenken und Nachfragen geben. Für ihn ist an dieser Geschichte zunächst das Problem ersichtlich, dass Jesus den Blinden, der zu ihm gebracht wurde, nicht dort heilte, wo er sich gerade befand. Er nahm ihn an die Hand, führte ihn aus dem Dorf heraus und legt ihm dann seine Hände auf. Prof. Dr. Härle spricht von einer gewissen Art Geheimniskrämerei, denn eigentlich sollte man doch bei einem Wunder davon ausgehen, dass es möglichst viele Leute mit eigenen Augen mitansehen sollten. 

Die nächste Merkwürdigkeit sieht Prof. Dr. Härle in der Tatsache, dass Jesus den Blinden nicht dadurch heilt, dass er ein machtvolles Wort spricht, sondern unter der Verwendung von Speichel als Heil- oder Wundermittel den Blinden von seiner Blindheit heilt. 

Das, was Prof. Dr. Härle aber als ganz besonders darstellt, ist die Tatsache, dass die Heilung nicht richtig klappt, sondern erst in einem zweiten Anlauf der Blinde wieder in der Lage ist, klar und deutlich zu sehen. Eine solche Panne sollte doch eigentlich mit dem Wirken eines Wundertäters unvereinbar sein. 

Nimmt man die Summe dieser Ungereimtheiten, dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass es wohl besser gewesen wäre, wenn man über diesen Vorfall lieber den Mantel des Schweigens gelegt hätte. Und genau dieses haben zum Beispiel Matthäus und Lukas getan, die ansonsten in vorderster Reihe standen, wenn es darum ging, von Wundern zu berichten. 

Aber wie bewertet Prof. Dr. Härle diese Geschichte nun? 

Im weiteren Verlauf seiner Predigt erläutert Prof. Dr. Härle, wie er zu der Geschichte dieser Wunderheilung steht. Er weist darauf hin, dass man die Geschichte in Verbindung mit den Erzählungen, die vorangeht und die nachfolgt, sehen muss. 

Vor der Geschichte der Heilung des Blinden erzählt Markus in 8,17-19, wie Jesus seiner Jünger fragt: „Versteht ihr noch nicht, und begreift ihr noch nicht? Habt ihr noch ein verhärtetes Herz in euch? Habt Augen und sehr nicht, und habt Ohren und hört nicht?“

Und weiter steht in Markus 8,29 direkt im Anschluss an die Geschichte von der Blindenheilung, wie die Jünger endlich zu Sehenden werden, denen die Augen aufgegangen sind. An dieser Stelle sagt Petrus im Namen aller Jünger: „Du bist der Christus!“

Prof. Dr. Härle ist der Ansicht, dass die Wundererzählungen im Neuen Testament eine buchstäbliche wie auch symbolische Bedeutung haben. Zum einen erzählen die Geschichten davon, wie Jesus bedürftigen Menschen hilft und gleichzeitig handeln sie davon, wie die Menschen ihr Leben neu verstehen können. 

Eben gerade die Tatsache, dass Jesus seine Wundertaten nicht reißerisch in der Öffentlichkeit ausführte, sondern die Geheilten in der Regel mit einem Schweigegebot belegte, kann ein Hinweis darauf sein, dass Menschen hier mit einer von Gott ausgehenden Kraft in Berührung kamen. 

Die verschiedenen Herangehensweisen an die Ausgangsfrage lassen nur den Schluss zu, dass es zwar in einem geringen Umfang Hinweise in Bezug auf die Wunderberichte gibt, die auf tatsächliche Ereignisse schließen lassen, die Jesus möglicherweise vollbracht hat. Eine Verifizierung dieser Ereignisse und aber auch eine Widerlegung ist jedoch äußerst schwierig.

Welche Wunder werden Jesus zudem noch zugeschrieben? 

Neben dem in der Ausgangsfrage dargestellten Wunder, dass Jesus einen Blinden heilt, sind in der Bibel noch weitere Wundertaten Jesus niedergeschrieben. Hierzu zählen:

  • Die Heilung weiterer verschiedener körperlicher Leiden wie Taubheit, Lähmung, Aussatz und Blutungen. Als ein bekanntes Beispiel wird gerne die Heilung eines Gelähmten zitiert. (Markus 2,1-12)
  • Die Auferweckung von Toten wie z.B. des Lazarus, der bereits vier Tage tot gewesen sein soll. (Johannes 11,1-44)
  • Die Brotvermehrung, die besagt, dass Jesus mit nur wenig Brot oder Fischen eine große Menschenmenge fütterte, so z.B. 5.000 Männer, Frauen und Kinder mit nur fünf Broten und zwei Fischen. (Matthäus 14,13-21)
  • Die Sturmstillung, bei der er auf dem See Genezareth einen heftigen Sturm beruhigt haben soll, indem er Wind und Wellen befahl, sich zu legen. (Markus 4,35-41)
  • Die Wandlung von Wasser in Wein während der Hochzeit in Kana. (Johannes 2,1-11)

Das ist aber nur eine kleine Auswahl der wohl bekanntesten Wundern, die Jesus vollbracht haben soll. Weitere Geschichten mit einer solchen Thematik findest du in den Evangelien. Ob wir jetzt nun von tatsächlichen Taten oder Metaphern ausgehen, so dienen diese Geschichten auf jeden Fall dazu, den Glauben an Gott zu stärken. 

Lesetipp

Predigt von Prof. Dr. Härle